Salzwissen

Himalaya-Salz, Kristallsalz und Himalaya-Kristallsalz

5 Jul, 2022

Eine Klarstellung

von Dinesh L. Gmeiner

  • Haben Sie schon mal den Bergsteiger Reinhold Messner über Salzvorkommen im Himalaya erzählen hören? Nein? – Ich auch nicht! Gibt es im Himalaya überhaupt Steinsalzlager?
  • Was ist Kristallsalz? Ein alter Begriff taucht wieder auf.
  • Himalaya kombiniert mit Kristallsalz? – eine Marketing-Legierung der besonderen Art.

Seit zwanzig Jahren kann man jetzt sogenanntes Himalaya-Salz oder Himalaya-Kristallsalz kaufen. Zumindest steht das so, oder so ähnlich, auf der Verpackung. Ob es im Himalaya-Gebirge tatsächlich Salz gibt, was Kristallsalz wirklich ist und was es mit Himalaya-Kristallsalz auf sich hat – auf diese Fragen möchte ich nachfolgend Antworten geben.

Inhalt

1. Himalaya-Salz
2. Kristallsalz
3. Himalaya-Kristallsalz

Himalaya-Salz

Der Bayer Peter Ferreira machte die Bezeichnung "Himalaya-Salz" einer breiten Öffentlichkeit bekannt mit seinem 2001 erschienenen Buch "Wasser und Salz". Ein Bayer namens Ferreira? Ferreira wurde 1965 als Peter Druf in der alten bayerischen Salzstadt Berchtesgaden geboren. Den Nachnamen Ferreira hat er von seiner portugiesischen Frau übernommen. Ferreira (was – passenderweise – Eisen heißt) nennt den eisenhaltigen Salzstein – das rote Steinsalz – aus dem pakistanischen Salzgebirge Himalayasalz. Rotes Steinsalz an sich gibt es in vielen Salzlagern, beispielsweise in den polnischen Bergwerken Wieliczka und Kłodawa, im niederrheinischen Borth, in Bolivien und in Kirgisien. Auch in Berchtesgaden kommt es vor, aber es ist bei weitem nicht so rein und lichtdurchlässig wie das aus Pakistan und es wird nur in äußerst geringen Mengen bergmännisch, das heißt mechanisch, abgebaut, der überwiegende Teil wird im sogenannten nassen Abbau durch Aussolung aus dem Haselgebirge herausgelöst, einem Mischgestein bestehend etwa zur Hälfte aus Salz. Die so gewonnene Sole wird in der Saline (Salzsiederei) Bad Reichenhall zu Siedesalz verdampft.
Ferreira meinte mit Himalaya-Salz jedoch ausschließlich das Rotsalz aus dem Salzgebirge Pakistans. Eine Marketing-Strategie, die allerdings nicht der Wahrheit entspricht, denn der Himalaya und das Salzgebirge haben nichts miteinander gemein. Der deutsche Schicksalsberg – der Nanga Parbat – ist über 500 Kilometer entfernt. Der näheste Himalaya-Ausläufer ist der Kischtwar-Himalaya mit seinen imposanten und schwierigen Sechstausendern und die sind immer noch über 300 Kilometer weit weg. Auf Deutschland übertragen wäre das in etwa so, als würde man das Salz, welches im Heilbronner Steinsalzbergwerk gefördert wird, Alpensalz nennen. Einem Kaufmann mag man dies nachsehen, aber einem Wissenschaftler? Denn als solcher, als Bio-Physiker nämlich – gab sich Ferreira aus. Standen hinter ihm ein paar findige Geschäftsleute?

Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, daß es im Himalaya tatsächlich Salzvorkommen gibt. Am bekanntesten ist wohl das Salz der tibetischen Salzseen. Die Sinologin Ulrike Koch hat darüber einen schönen Dokumentarfilm gedreht mit dem Titel "Die Salzmänner von Tibet", welcher 1997 im Kino lief. In Tibet gibt es Salzseen und aus diesen wird, beziehungsweise wurde, Seesalz gewonnen, nach dem gleichen Prinzip wie bei Meersalzsalinen. (Meersalz hieß früher auch Seesalz, weil es ja aus dem Meerwasser der See gewonnen wurde.) Die Tibeter haben ihr Seesalz Jahrhunderte lang bis in die Gegenwart mit Yak-Karawanen nach Nepal exportiert, weil Nepal selbst über keine eigenen Salzlager verfügt.
Erwähnt sei hier noch die, ebenfalls viele Jahrhunderte alte, Salzproduktion in Yandsching (Yanjing) entlang des Mekong im äußersten Osten Tibets. Aus den dortigen salzhaltigen Quellen wird Salz gewonnen.

Außerdem gibt es Steinsalzvorkommen in Guma und Drang im Distrikt Mandi im indischen Bundesstaat Himatschal Pradesch. Dies ist überhaupt das einzige Steinsalzlager im heutigen Indien. Dessen graues Bergsalz ist aber von minderer Qualität und hat nur einen Reinheitsgrad von gerademal 70 Prozent. Außerdem ist die Fördermenge sehr gering. Im Etatsjahr 2004/2005 betrug sie nur knapp 3000 Tonnen. Zum Vergleich: im Wartscha-Salzbergwerk des Salzgebirges Pakistans hat das Salz 98 Prozent Reinheit und pro Jahr werden über 630000 Tonnen gewonnen (2019/20) ↗.

Mittlerweile wird selbst auf nepalesischen Märkten in Kathmandu und Bhaktapur „Himalayasalz“ angeboten für horrende 100 Rupien pro 100 Gramm. Auf unserer Nepalreise im Winter 2010/2011 haben wir es selbst erlebt. Erst nach längerem hartnäckigen Nachfragen mußte der Händler schließlich eingestehen, daß das von ihm angebotene Salz aus dem Salzgebirge Pakistans stammt. Dies sei hier erwähnt, weil etwaige Nepalreisende sonst dem Irrtum aufsäßen, es handele sich um Steinsalz tatsächlich aus dem Himalaya.
Der Himalaya ist das höchste Gebrige der Welt und zweieinhalbtausend Kilometer lang. Er durchzieht Pakistan, Indien, China, Tibet, Nepal, Bhutan und Birma. Steinsalz ist ein häufig vorkommendes Gestein und es ist nicht unwahrscheinlich, daß es im Himalaya Steinsalzvorkommen gibt, welche aber vielleicht noch nicht bekannt sind oder aber es sich wirtschaftlich nicht lohnt, diese auszubeuten.

Kristallsalz

Das Wort Kristallsalz ist zwar keine Wortschöfpung von Ferreira, aber wiederum war er es, der es mit seinem Buch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte, wenngleich auf seine Weise. Man kann die Bezeichnung Kristallsalz tatsächlich in der Fachliteratur finden, jedoch nur in alten Texten aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert und davor. Heute scheint es bei Wissenschaftlern nicht mehr in Verwendung zu sein. Der ungarische Mineraloge Rudolf Görgey von Görgö und Toporcz (1886-1915) beschreibt Kristallsalz ausführlich schon 1908. Auschließlich das durchsichtige, farblose Salz ist Kristallsalz. Blausalz zählt er explizit nicht dazu, nur klares Salz ist Kristallsalz und der Grund liegt im Namen, denn Kristall kommt aus dem Griechischen krýstallos (κρύσταλλος) und von krýos (κρύος) Eiseskälte, Frost oder Eis. Schon bei den Alten Griechen wird es verwendet für alles dem Eis ähnliche, helle und durchsichtige, insbesondere der Bergkristall und Glas werden so genannt. So hieß denn im weltberühmten polnischen Bergwerk von Wieliczka in der Nähe von Krakau (deutscher Name bezeichnenderweise: "Groß Salze") das Krystallsalz um 1840 “Eissalz” und “geäugeltes Salz”. Die Polen würden sogar zuweilen einen Unterschied machen zwischen dem Eis- und dem Augensalz. “Dieſes Eisſalz iſt völlig weiß und durchſichtig wie Glas.” steht in der Wochenzeitschrift “Das Ausland: Wochenschrift für Erd- und Völkerkunde” des selben Jahres. “Unter Krystallsalz versteht man das wasserhelle, von Beimengungen wesentlich freie Steinsalz, …", ließt man denn auch in der "Salzbergbau- und Salinenkunde" aus dem Jahre 1900. Im "Jahresbericht über die Fortschritte der Pharmacognosie, Pharmacie und Toxicologie" aus dem Jahre 1868 stößt man auf “… reines und durchsichtiges Steinsalz (Krystallsalz) …."Und Johann Gottfried Ebel schreibt 1808 in "Ueber den Bau der Erde in dem Alpen-Gebirge:" "Ueberall trift man in der Masse des Steinsalzes … krystallhelle Salzstücke, Krystallsalz genannt ↗." In der heutigen Wissenschaft wird die Bezeichnung Kristallsalz jedoch nicht mehr verwendet, zumindest ist das mir nicht bekannt. Falls doch und Sie wissen es anders, werter Leser, würde mich die Quelle interessieren. Der Wissenschaftler sagt heute Halit oder Steinsalz als Oberbegriff. Im Bergbau wird, analog zu Rot- und Weißsalz, der Begriff “Klarsalz” ↗ verwendet, ein Synonym für Kristallsalz, wie es bereits 1898 der Württemberger Geologe Karl Emil Endriss (1867-1927)↗ vorgeschlagen hatte.

Interessant ist auch, daß in historischen Lexika und Wörterbüchern das Wort Kristallsalz nur sehr selten auftaucht. Die Gebrüder Grimm kennen es gar nicht und der einzige Eintrag in einem alten Lexikon, den ich gefunden habe, ist zu finden in Jacobis "Neuem vollständigen und allgemeinen Waaren- und Handlungs-Lexicon" aus dem Jahre 1800 von Johann Daniel Claß. Dort heißt es: “Das Berg- oder Steinsalz, Krystallsalz, wird als Steine in Bergwerken ausgehauen, und findet sich in Polen, Ungarn, Siebenbürgen, Katalonien, England, Oestreich, Salzburg, Bayern und Tyrol; … ↗." 1911 wird Krystallsalz immerhin aufgelistet in den “Volkstümlichen Namen der Arzneimittel, … ↗.”

Jedoch als statistische Angabe über die jährliche Salzgewinnung in Deutschland im neunzehnten Jahrhundert läßt sich "Krystallsalz" in diversen Statistiken finden. Zum Beispiel in “Rudolf von Wagner's Jahres-Bericht über die Leistungen der chemischen Technologie, mit besonderer Berücksichtigung der Gewerbestatistik für das Jahr 1882 ↗."Im Etatsjahr 1881/82 betrug demgemäß die Salzförderung im deutschen Zollgebiete ingesamt 62000 Tonnen Krystallsalz, 230000 Tonnen "anderes Steinsalz" und 471000 Tonnen Siedesalz (Werte gerundet). Krystallsalz wird demnach auch nur gewonnen in Preussen, Württemberg und Anhalt, wobei der Löwenanteil mit über 99,9 Prozent in Preussen abgebaut wird. Bayern und Thüringen fördern zwar Steinsalz, aber kein Krystallsalz. Die nur 858 bayerischen Tonnen Steinsalz sind so gering, daß man sie als vorindustriell ansehen muß. Dies gilt sicherlich für den gesamten Alpenraum und sein bergmännisch producirtes Steinsalz, insbesondere Österreich mit Hallein, Hallstatt und Altaussee, die wie in Berchtesgaden fast ausschließlich mit Sinkwerken im nassen Abbau Salz gewinnen. In alter Fachliteratur, nämlich in "Salzbergbau und Salinenkunde" von 1900 steht passend hierzu: “Nur selten trifft man auf reinere Salzpartien, Krystallsalz ↗." Der auch heute noch in Berchtesgaden und wieder in Altaussee betriebene trockene Abbau von Kernsalz ist eben eine vergleichsweise geringe Menge und nicht industriell.

Kristallsalz ist das reinste Salz. Es enthält andere Salze oder Elemente nur in winzigsten Mengen und ist daher auch nicht hygroskopisch, das heißt wasseranziehend, ganz im Unterschied zum Rotsalz. Eine von uns im Jahre 2004 in Auftrag gegebene Analyse eines Kristallsalz-Einkristalls mit der Glow Discharge Mass Spectrometry (GDMS, Glühentladungs-Massenspektrometrie) ergab eine enorm hohe Reinheit des Salzes. Es fanden sich lediglich kleinste Anteile von Verunreinigungen folgender chemischer Elemente:

  • 10-100 ppm (parts per million, Teile pro Millionen)
    • 100 Kalium (K)
    • 37 Brom (Br)
  • zwischen 1-10 ppm
    • 8,0 Schwefel (S)
    • 2,5 Magnesium (Mg)
    • 1,3 Antimon (Sb, Stibium)
  • in Spuren <1 ppm
    • 0,64 Phosphor (P)
    • 0,25 Calcium (Ca)
    • 0,18 Bor (B)
    • 0,08 Silicium (Si)
    • 0,05 Aluminium (Al)
    • 0,03 Titan (Ti)
    • 0,02 Lithium (Li)

Alle anderen Elemente blieben unter der jeweiligen Nachweisgrenze. Der Gesamtwert dieser Verunreinigungen beträgt 150,05 ppm, was bedeutet im Umkehrschluß, daß das Salz eine Reinheit von 99,984995 Prozent aufweist! Da kann man getrost aufrunden und sagen: “Dieses Kristallsalz ist zu einhundert Prozent reines Salz oder wie der Chemiker sagen würde, zu hundert Prozent Natriumchlorid." Ich kann mich noch erinnern, daß ich extra einen nicht ganz so klaren Kristall ausgewählt hatte, sonst wäre das Ergebnis wahrscheinlich noch besser. Zum Vergleich: eine mit der Röngenfluoreszenzanalyse (RFA), aus dem Jahre 2002, gemessene Elementzusammensetzung eines extra hellen Rotsalzstückes ergab eine Reinheit von 99,38 Prozent. Hier wäre der Wert freilich schlechter ausgefallen, wenn man einen entsprechend dunkleren Salzkristall genommen hätte, insbesondere was den Eisenoxidwert anbelangt. Der lag nämlich nur(!) bei 0,03 ppm. Das Eisenoxid (Rost) ist für die Rotfärbung verantwortlich.

Kristallsalz ist seltener als gewöhnliches Steinsalz. Es kommt vor in relativ schmalen Adern, Drusen oder Nestern. Oft ist es im gewöhlichem Steinsalz mit eingebettet. So kann man immer wieder auf Kristallsalzeinschlüsse treffen. Wenn man einen Rot- oder Weißsalzziegel zerbricht, dann findet man häufig auch etwas Kristallsalz darin. Von der Stabilität her, ist es für Salzbaustoffe besser, kleinere und kompaktere kristalline Strukturen anzutreffen, weil so ein größerer Klarsalzkristall innerhalb eines Salzziegels eine Sollbruchstelle darstellt, weil die Härtegrade leicht verschieden sind. Steinsalz wird zwar generell angegeben mit einer Mohshärte von 2 bis 2,5, aber schon Weißsalz ist ein wenig härter als Rotsalz und Klarsalz noch härter.

Wegen seiner Seltenheit gegenüber gewöhnlichem Steinsalz, ist Kristallsalz auch am kostbarsten. Insbesondere in vorindustrieller Zeit, war es tatsächlich dem Adel vorbehalten. In der Wochenzeitschrift “Das Ausland: Wochenschrift für Erd- und Völkerkunde” vom 23. Mai 1840 liest man, daß “Krystallsalz” aus dem polnischen Bergwerk Wieliczka in folgenden Mengen ("immer noch") an diverse Majestäten jährlich geliefert wurde, nämlich an

  • den König von Preußen: 2 Zentner,
  • den Kaiser von Rußland als solcher: 2½ Zentner, als König von Polen: 2 Zentner,
  • den Kaiser von Oesterreich als solcher: 3 Zentner, als König von Ungarn: 1 Zentner ↗.

Himalaya-Kristallsalz

Ferreira nennt das rote Steinsalz fälschlicherweise Kristallsalz und dasjenige aus dem Salzgebirge Pakistans Himalaya-Kristallsalz. Über seine Gründe kann ich nur spekulieren: beides klingt jedenfalls unglaublich, Kristallsalz als auch Himalaya-Salz und die Verbindung aus beidem toppt alles. Denn man weiß ja, ohne Salz kein Leben! Aber jetzt kommt da plötzlich der Kristall hinzu, die vollkommene Vollendung aus dem Mineralreich der Natur. Und das Ganze dann aus dem Himalaya, dem Dach der Welt, dem Wohnsitz der Götter! Nur von exzellenten Bergsteigern unter extremsten Bedingungen zu erklimmen. Und dort hoch oben harrt – freilich schwer zugänglich, versteht sich – eine Salzmine mit dem kostbarsten Schatz den man sich vorstellen kann, ihrem Abbau entgegen – dem Gesundungselixier für die leidende Menschheit.
Und diese Geschichte kommt nicht von irgendeinem Spinner, sondern von einem Wissenschaftler! Nämlich einem Bio-Physiker, denn als solchen gibt sich Ferreira aus. Damit trifft er exakt den herrschenden Zeitgeist der Bio-Szene aus den frühen Nullerjahren. Endlich, nach all den Jahren, entdeckt die Wissenschaft, was man immer schon geahnt hat. Feinstoffliche Vorgänge sind endlich meßbar und damit beweisbar! Mittels der Bio-Physik scheint nun bewiesen, daß Himalaya-Kristallsalz 84 (!) Elemente enthält, heilende "Informationen" aus dem Urmeer, dessen Salz im "Bauch der Erde" (Ferreira) Jahrmillionen reifte, um uns wieder in den Urzustand der Gesundheit zu versetzen. Sozusagen die lang ersehnte Fusion aus Esoterik und Exoterik.
Die Marketing-Strategie war perfekt und ein nie gekannter Boom nach Speisesalz brach los. Entsprechend waren die Preise. Für ein Kilo rosa Salzbrocken zahlte man damals zwischen 40 und 50 Mark.